Aus dem Newsletter, März 2024
Meine Freundin Rūta ist eine vierfache Mutter mit 2 Söhnen und 3-jährigen Zwillingen. Sie ist eine von 1,5 Millionen litauischen Frauen, die die größere Hälfte der Bevölkerung (53,4 %) ausmacht. Mit dem ersten Kind hat sie einen Doktortitel als Energieingenieurin verteidigt. Während sie als Expertin ein neues Studium an der technischen Universität aufbaut, bastelt sie in der Nacht einen Adventskalender für die Kita-Gruppe ihrer Kinder oder führt die Logistik, wie sie zwischen den Vorlesungen – oder ihr Mann oder ihre Mutter – ihre Kinder noch zu verschiedenen Sport- und Musikaktivitäten bringt. Oft hat sie ein schlechtes Gewissen, dass sie nicht die beste Mutter ist. Das könnte auch die nach Perfektion sterbende Mutter aus Deutschland sein. Rūta hat es für die litauischen Verhältnisse noch gut. Sie hat einen ziemlich flexiblen Arbeitsplan. Ihr Mann auch. Meine Schwägerin und mein Bruder nicht. Schon mit einem Jahr war meine Nichte nach zweiwöchiger Gewöhnungszeit von kurz vor 8 bis 17 Uhr in der Kita. Die Großeltern nicht vor Ort. Schmerzhaft? Ja. Teilzeit in Litauen gibt es sowie so gut wie kaum. Und wenn ja, entscheiden sich die Eltern ganz oft dagegen – sonst ist das Geld zu knapp. Zum Glück arbeiten die Kindergärten in Litauen bis 17-18 Uhr.
Ab diesem Jahr darf man sich für 18 oder für 24 Monate der Mutterschaft entscheiden. Bei der ersten Variante bekommt die Mutter 60 % ihres Gehaltes. Allerdings darf man im zweiten Jahr während der Mutterschaft wieder arbeiten, und Mutterschaftsgeld wird nicht gekürzt.
Meine Familie und meine Freundinnen entsprechen der Statistik: Litauische Frauen sind ehrgeizig. 61 % aller Hochschulabsolventen sind sie und 39 % sind Männer. Trotzdem gibt es deutliche Unterschiede bei den Gehältern. Letztes Jahr arbeiteten Frauen nach den Berechnungen bereits ab dem 10. November umsonst. Anders gesagt, sie verdienen fast 14 % weniger.
Mit 43 % sind zurzeit mehr Frauen in der litauischen Regierung so präsent wie noch nie. Aber allgemein dominieren die Männer in Leitungspositionen. Nur 31 % der Frauen bekommen Führungspositionen. Hier passt die Reportage über die litauische Wissenschaftlerin Ieva Plikusienė (SWR) perfekt.
Vor 106 Jahren waren litauische Frauen auch ehrgeizig. Als der litauische Staat wiederhergestellt wurde (1918), dominierten nur Männer im Prozess. Am nächsten Tag (am 17. Februar) gingen die Frauen auf den Straßen demonstrieren, damit auch sie in den litauischen Rat aufgenommen werden. Das ist leider nicht passiert. Aber ein halbes Jahr später gewährte die litauische Verfassung Frauen das Wahlrecht. Damit war Litauen eines der wenigen Länder, die das hatten. Dank den Frauen. Seit letztem Jahr ist nun der 17. Februar in Litauen der Nationaler Emanzipationstag. Es gibt noch viel zu tun. Aber hoffentlich geht es nur nach vorne und nicht zurück. Am liebsten ohne Druck und ohne schlechtes Gewissen beweisen, was eine Frau alles kann.
Foto: 100lietuvosmoteru.com