Wenn ich meinen deutschen Freunden eine Geschichte aus meiner litauischen Familie erzähle, freuen sie sich. Nachvollziehbar – wenigstens ein Lichtblick aus dem grausamen Kontext des Zweiten Weltkrieges. Es geht um meine Oma und die deutschen Soldaten.
Oma und Eier
Die Frage, wie meine Oma reagieren würde, wenn ich ihr erzähle, dass ich nach Deutschland gehe, hat mich sehr beschäftigt. Die Frau, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, reagierte aber ohne Widerstand. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Ich musste Litauen verlassen, um das zu erfahren. Geboren wurde sie im Jahr 1919. Als der Zweiter Weltkrieg lief, heiratete sie meinen Großvater und wohnte in einem eigenen Haus in einem winzigen Dorf in Nord-Litauen, das es nicht mehr gibt, ganz nah an der lettischen Grenze. Der Krieg war für sie ziemlich weit weg. Aber nicht lange. Eines Tages musste die junge Familie ihr Haus den deutschen Soldaten überlassen.
„Jeden Tag ging ich trotzdem unsere Tiere füttern“, erzählte meine Oma. „Jedes Mal haben die deutschen „Gäste“ mich gefragt, ob sie Eier essen dürfen.“ Für sie ist es die einzige (und positive) Erinnerung an die Deutschen mit dem Fazit: Die Deutschen sind höflich. Außerdem war meine Oma stolz, dass sie ein Wort auf Deutsch sagen konnte: Eier.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich schon, was für eine große Verantwortung Deutschland für ihre Geschichte trägt. Nicht allen Litauern ist es bewusst. Ich war auch eine davon. Einem Deutschen, den man gerade kennengelernt hat, Heil Hitler zu sagen, kann für einige Litauer, die sich nichts dabei denken, sehr witzig sein und quasi der Beweis: „Ich kann Deutsch“. In so einer Situation war ich auch. Ich war Studentin und betreute eine deutsche Praktikantin. Als ich sie in meinem Freundeskreis vorgestellt habe, rief einer diesen Gruß. Wir haben alle gelacht. Nur sie nicht. Stattdessen hat sie sich für die Geschichte ihres Landes entschuldigt. Wir haben nicht verstanden, warum sie es tut – es ist doch nicht ihre Schuld. Dann folgte ein Gespräch mit ihr. Erst dann habe ich realisiert: Das ist kein Witz.
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